11.6.2006

12 Stunden auf der Lauer 

Ein eigenes Haus. Oder 'ne Weltreise. Vielleicht dieses schöne Cabriolet aus dem Hochglanzprospekt... Wünsche hat jeder. Mal größer, mal etwas kleiner. 

Den von Fritz hat sonst aber niemand. „Eine Fotogeschichte über einen Schneeleoparden, der mit seinen Kindern spielt - das wär was", sagt der 70-Jährige. Klingt außergewöhnlich, ist aber so. Fritz Pölking ist Deutschlands wohl bekanntester Naturfotograf. Den Schneeleoparden? „Natürlich" habe er den schon mal in freier Wildbahn fotografiert. Drüben, in der Mongolei. Das können nicht viele von sich behaupten. 

Überhaupt hat er schon eine Menge Fotos gemacht. Mehrere Millionen. Und das ist nur grob geschätzt. Ja hat er denn sonst keine Interessen? „Ich? Nein!", sagt's und lehnt sich breit grinsend in sein Sofa zurück.

        Knipsbilder

Bäume, Bäche, Tiere. Das sind ihm die liebsten Motive. Menschen? ,;Oh, nur noch gegen Geld." Und dann nicht mal besonders gerne. Früher, auf dem Weg zum Fotografenmeister, da hat er Hochzeitspärchen für die Ewigkeit festgehalten. Die Diapositive gibt es immer noch. Was allerdings aus den frisch Vermählten wurde? Das weiß er nicht. Es hat ihn ja damals schon nicht wirklich interessiert.

Hinten in der Schrankwand stehen unzählige Bildbände („Aber nicht von mir, ich muss ja auch sehen, was die Kollegen so machen.") neben noch unzähligeren Fotoeinsteckalben. „Ach, das sind nur unsere Knipsbilder", sagen Fritz und seine ebenfalls weithin bekannte fotografierende Gattin Gisela unisono, „nur zur Erinnerung". Knipsbilder also. Bei den Pölkings bedeutet das so viel wie „ohne Stativ". Das klingt verächtlich - bedeutet aber nur „nicht vorzeigenswert". Da gäbe es doch bestimmt viele andere, die man sich eher anschauen könnte, meint der Fritz. Beispielsweise die mit den Fischadlern. Leoparden. Oder Pinguinen! Mit denen (und vielen weiteren Motiven) hat der Grevener nämlich die bedeutendsten Auszeichnungen der Welt gewonnen. „Wildlife Photographer of the Year", „Naturfotograf des Jahres", „World Press Photo" und vieles mehr. Macht ihn so was nicht stolz? „Oh, es ist schön, wenn so was dabei herumkommt. Aber wichtiger ist doch dieser Lustgewinn, wenn man gerade ein tolles Motiv vor der Linse hat", gesteht er.

Da sitzt nun also dieser Pölking mit gekreuzten Fingern auf seinem Sofa und sinniert über Lust und Leidenschaft. Darüber, was ihn zur Fotografie getrieben hat und darüber, warum ihn die Fotografie immer noch treibt. Kein nervöses Zucken im Zeigefinger, ja nicht mal eine Kamera in Sichtweite. Hat er die Ruhe nach 50 Dienstjahren weg? „Wenn ich in Afrika 12 Stunden auf der Lauer liegen muss, dann ist das eben so. Aber warte ich im Restaurant mal eine halbe Stunde auf meine Bestellung, dann steh ich auf und gehe." - „Ja, und er würde nie mit mir in ein Modegeschäft gehen", bekräftigt Gisela.

Eine Sache gibt es da allerdings doch, die ihn ein kleines bisschen aus der Fassung bringt. „Wenn Leute sagen: 'Kein Wunder, dass sie so gute Fotos machen. Sie haben ja auch eine teure Kamera!'", holt er aus, „dann denke ich nur: Mein Gott. Es hätte doch wohl nie jemand zu Hemingway gesagt: 'Sie haben aber bestimmt eine teure Schreibmaschine, oder?'

Emotionen wecken

Seine Fotos entstehen im Kopf, nicht in der Kamera. Und die tollen Fotos gibt es nur, weil der Fotograf draußen und zur rechten Zeit am rechten Ort ist. Dies in Zeiten, da nahezu jeder eine Digitalkamera besitzt, den Menschen zu verdeutlichen, sei schwer. Deshalb lässt der 70-Jährige lieber Bilder sprechen. Seine Bilder. „Nur wenn Fotos beim Betrachter Emotionen wecken, sind sie gut."

Was macht einer wie der Pölking eigentlich so in seiner „Freizeit"? Was wohl: Abenteuerurlaub in der Antarktis. Oder der afrikanischen Steppe. Wie es 70-Jährige halt so tun. ,;Kreuzfahrten mag ich nicht."

,Schon bald geht es wieder los; raus in die Welt. Ich bekomme nach vier Wochen Entzugserscheinungen und muss weg. sagt Pölking.

Dann packt er ein paar Objektive in seinen Fotorucksack („Mit einer leichten Ausrüstung kommen Sie besser durchs Leben!") und natürlich auch ausreichend Speicherkarten für die Digitalkamera. „Noch vor ein paar Jahren bin ich mit 300 Diafilmen in die Antarktis geflogen. Habe in drei Wochen 14 000 Fotos von Pinguinen gemacht." Knipsbilder waren übrigens nicht dabei.

95 Prozent löschen

Aber wo sind sie denn nun - all die Fotos, die ihn zum berühmtesten Naturfotografen des Landes machen? Im Wohzimmer hängen gerade mal zwei. Immerhin: Eine Etage höher gibt es eine Wand mit mehreren Landschaftsfotografien von der Insel Foula aus der Shetland-Gruppe.. Die sind allerdings von der Hochzeitsreise - und die liegt 39 Jahre zurück. Nein, Fritz speichert seine Fotos allesamt im Computer.

Selbst die guten alten Diapositive hat er gescannt und zu digitalen Daten verarbeitet. Man muss halt mit der Zeit gehen. Apropos: In dieser Zeit sind viele Fotos auf der Strecke geblieben. „Tapfer sein, 95 Prozent aller Bilder sofort löschen, Lebenszeit gewinnen", sagt er. „Ich will das ultimative Bild. Der Rest ist zweitklassig." Zweitklassig für einen Pölking, wohlgemerkt. •

        Ruhr-Nachrichten, 12. Juni 2006 - Marc Geschonke

 

 

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